Politische Kommunikationsberatung hat in Lateinamerika eine lange Tradition. Politische Wahlkampagnen stehen dabei im Mittelpunkt – bei aller Unterschiedlichkeit der mehr als zwanzig Länder in der Region. Besonders politische Unwägbarkeiten führen dazu, dass Unternehmen zunehmend Leistungen der politischen Kommunikationsberatung in Anspruch nehmen (Public Affairs, CSR, Governmental Relations). Zukunftstrends sind das Aufkommen von digitaler politischer Kommunikation sowie breitere Ausbildungsangebote für Politikberater. Klientelismus und Korruption sind im Beziehungsgeflecht von Medien und Politik die größte Herausforderung für Qualität und Professionalität in der politischen Kommunikationsberatung in Lateinamerika.

„Gebt mir ein Balkon und das Land ist mein“. Dieses Zitat wird zwar gemeinhin dem ekuadorianischen Ex-Präsidenten José María Velasco Ibarra zugeschrieben. Genauso gut hätte dieser Satz aber auch von Eva Evita Perón, Fidel Castro, Che Guevara oder auch Hugo Chávez stammen können.

Das Bild des wortgewaltigen politischen Führers, der von einem Balkon aus, die zuhörenden Massen in seinen Bann zieht, gehört zu den gängigen Klischees die mit lateinamerikanischer Politik verbunden werden.

Herausragende rhetorische Fähigkeiten und ein unwiderstehliches Charisma gehören demnach zum Standardrepertoire eines jeden líder, der etwas auf sich hält. Allerdings sind auch in vielen Ländern der Region die Zeiten vorbei, in denen das allein genügte, um die Bürger für Politik zu begeistern. In vielerlei Hinsicht gehört auch dieses Bild des Balkon-Führers mittlerweile zum verstaubten Archiv des Kalten Krieges, ähnlich wie die Begriffe Bananenrepublik, Operettendiktatur, Guerilla oder Verschwundene. Die Zeiten haben sich eben auch in Lateinamerika geändert und mit ihnen die Art und Weise wie Politik vermittelt wird.

Die Ursprünge der politischen Kommunikationsberatung in Lateinamerika sind mit der Rückkehr zur Demokratie Anfang der 1980er-Jahre verbunden. Mit dem demokratischen Wahlsieg von Jaime Roldós als ecuadorianischer Staatspräsident, schwappte ab 1979 die von Samuel Huntington titulierte Dritte Welle der Demokratisierung über Lateinamerika (S. Huntington). Nach und nach nahmen die meisten Länder der Region von ihren Diktatoren Abschied. Mit einem zunehmenden demokratischen Wettbewerb breitete sich auch der Bedarf nach professioneller Beratung in Sachen Wahlkampf und politischer Kommunikation aus. Gleiches geschah auch mit Unternehmen, NGOs, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinigungen, indigenen Organisationen etc. Dennoch blieb bis weit in die 1990er-Jahre hinein das Tätigkeitsfeld für Politik-Kommunikationsberater größtenteils auf politische Wahlkampagnen beschränkt.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Bis zum heutigen Tag bildeten sich sehr vielfältige und unterschiedlich stark differenzierte Märkte der politischen Kommunikation in der Region heraus. Allerdings teilen sie Gemeinsamkeiten und ähnliche Rahmenbedingungen. Das hat dazu beigetragen, dass der Austausch von Beratern innerhalb der spanischsprachigen Länder untereinander bereits in den 1980er-Jahren begann und immer dichter wurde: Berater aus Venezuela oder Ecuador übernahmen nun erfolgreich Mandate in Argentinien oder Bolivien – aber auch umgekehrt. Allein schon aufgrund der Sprachbarrieren wäre z. B. diese Form des Austauschs in Europa schwieriger. Dies ist auch ein Grund, weshalb brasilianische Berater sich lange schwer taten, in spanischsprachigen Märkten der Region Fuß zu fassen. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in einem deutlich US-amerikanisch geprägten professionellen Einfluss. Eine Mehrzahl der heutigen lateinamerikanischen Stars der politischen Kommunikation in Lateinamerika erlernte ihr Handwerk in den USA bei Größen wie Joseph Napolitan, der in diesen Breiten gemeinhin als der Übervater des Marketing Político angesehen wird. Dieser Einfluss ist mit den Jahren etwas zurückgegangen. Hierfür sorgen zunehmend akademische Angebote, insbesondere aus Spanien aber auch aus der Region selbst, die ganz bewusst auf lateinamerikanische Experten als Dozenten setzen.

Oft täuschen offensichtliche Gemeinsamkeiten über sehr deutliche Mentalitätsunterschiede hinweg, die auch in der politischen Ansprache von Relevanz sind. Mexikaner gelten im Vergleich zu Argentiniern beispielsweise als formeller: Konventionen und Traditionen haben dort ein großes Gewicht, während sich die argentinische Mittelschicht in vielerlei Hinsicht viel stärker an liberaleren, europäischen Standards orientiert. Teilweise sind politische Kulturen und Institutionalisierungsgrade zwischen den einzelnen Ländern eklatant unterschiedlich. Sie stellen gerade bezüglich der Rahmenbedingungen für Beratungstätigkeiten einen erheblichen Differenzierungsfaktor dar.

Zum Beispiel ist der Umgang mit einer historisch gewachsenen und institutionell für lateinamerikanische Verhältnisse gefestigten Partei wie der 1836 gegründeten Partido Nacional del Uruguay (Nationale Partei Uruguays oder auch Partido Blanco, Weiße Partei genannt) ein ganz anderer als der mit Vereinigungen, die bestenfalls als politische Clubs zu bezeichnen sind und kaum länger leben als über einen Wahlkampf hinaus.

Schließlich sollte berücksichtigt werden, dass es mit Kuba, Venezuela oder Nikaragua Regime in der Region gibt, die eindeutig autoritäre Züge aufweisen. Lateinamerika ist dennoch unter allen Entwicklungsregionen immer noch die vergleichbar demokratischste.

Hingegen bestehen schon wieder mehr Ähnlichkeiten, wenn es um die Medienlandschaften und die Rolle geht, die Massenmedien in den jeweiligen Ländern spielen. Ob Mexiko, Peru, Kolumbien oder Argentinien, in vielen dieser Länder hat sich eine professionelle Presse bereits im 19. Jahrhundert entwickelt. Dieser stellenweise hochgradig professionelle Journalismus hat dafür gesorgt, dass den Medien, insbesondere in den 1980er-Jahren eine sehr wichtige Rolle in den durchaus fragilen Demokratisierungsprozessen vieler lateinamerikanischer Länder zukam. Zugleich belegen Indizes wie Latinobarómetro oder AmericasBarometer, dass seit den 1990er-Jahren der Journalismus in den meisten Ländern kontinuierlich an Glaubwürdigkeit verloren hat. Marktbeherrschende Stellungen von Mediengruppen sind zudem in fast allen Ländern eher Regel als Ausnahme. Die lange Zeit monopolartige Vorherrschaft der Televisa-Gruppe in Mexiko war mit einem demokratisch verfassten Gemeinwesen eigentlich nicht mehr vereinbar. Nicht ganz so extrem, aber dennoch besorgniserregend sieht es in Brasilien (Globo-Gruppe), Argentinien (Clarín-Gruppe) und selbst in kleineren Ländern wie Guatemala oder Paraguay aus. Abgesehen davon, dass Medienkonzentration an sich problematisch für eine Demokratie ist, liegt das eigentliche Problem darin, dass sich diese (Quasi-)Monopole allzu oft und gern zum Spielball der Politik machen lassen und umgekehrt die Politik gerne für eigene Zwecke zu manipulieren versuchen. Fast überall in Lateinamerika begrenzt das komplexe Verhältnis zwischen Medien und Politik den professionellen Spielraum für seriöse Kommunikationsberatung.

Besonders dynamisch scheint die Entwicklung des Internet in Lateinamerika voranzuschreiten. Dies gilt ganz besonders für Brasilien, Mexiko, Chile, Kolumbien und Argentinien. Die sehr starke Wachstumsdynamik dieses Mediums hat sich vom mittlerweile stockenden Wirtschaftswachstum in vielen dieser Länder abgekoppelt.

Selbst die relativ hohen Kosten für Internetanschlüsse und eine stark ausbaufähige Infrastruktur können es nicht verhindern, dass diese Länder zu denjenigen in der Region zählen, die das Internet weltweit am intensivsten nutzen – dies gilt vor allem für soziale Medien (Facebook, Twitter) aber auch für e-commerce (z. B. mercadolibre.com, dafiti.com) oder Videonutzung (youtube, vimeo). Das Potenzial ist hier enorm, zumal mit der mobilen Technologie in den nächsten Jahren immer mehr Menschen in diesen Ländern einen Internetanschluss haben werden.

Zukunftstrends

Monopolartige Medienstrukturen, das undurchsichtige Verhältnis zwischen Medien und Politik, sowie die allgemein weit verbreitete Korruption haben unter anderen dazu geführt, dass die Professionalität in der Branche im Allgemeinen nicht so hoch ist, wie es andererseits eine vergleichsweise lange berufliche Tradition erwarten ließe. Das kann sich freilich von Land zu Land sehr unterscheiden, wie eine Vielzahl von Indizes wie der Doing Business-Index der Weltbank, der Korruptionsindex von Transparency International oder der Index zur Demokratieentwicklung in Lateinamerika, IDD-Lat der Konrad-Adenauer-Stiftung belegen. Eine spürbare Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten und -qualität haben dazu beigetragen, dass zumindest das Bewusstsein darüber bei allen Beteiligten gewachsen ist.

Die Unwägbarkeiten staatlichen Handelns in rohstoffreichen Ländern der Region wie Venezuela, Argentinien oder Ecuador hat Unternehmen wie Repsol, Glencore oder auch BASF, den Wert qualitativ hochwertiger politischer Kommunikationsberatung aufgezeigt, die sich nicht nur in punktueller Bewältigung von Krisen erschöpft. Hinzu kommen aber auch andere Faktoren: In der Europäischen Union ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung für viele Unternehmen Pflicht. In nordamerikanischen oder europäischen Heimatländern multinationaler Unternehmen wächst das öffentliche Interesse daran, was diese Unternehmen in weit entlegenen Minen oder Bohrfeldern eigentlich machen. Und last but not least – in den lateinamerikanischen Ländern selbst werden Bürger kritischer, umweltbewusster und gesellschaftspolitisch aktiver. Dies alles hat bereits dazu geführt, dass in einzelnen Ländern zwar noch kleine, aber vielversprechende Märkte für politische Kommunikationsberatung im Zusammenhang mit Public Affairs oder Corporate Social Responsibility für Unternehmen aber auch Verbände und NGOs gedeihen – mit eindeutiger Wachstumstendenz.

Die Rolle der (gesellschafts-)politischen Kommunikationsberatung für Unternehmen wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit steigen. Der Bedarf von Unternehmen in Wirtschaftszweigen wie dem Bergbau und der Erdölwirtschaft lässt sich jetzt schon erkennen: Im Unterschied zu anderen Akteuren sind ihre Investitionen sehr viel langfristiger angelegt, bergen gesellschaftspolitischen Sprengstoff und sind erklärungsbedürftiger. Immer mehr Unternehmen sind stärker auf ein günstiges gesellschaftspolitisches Umfeld angewiesen.

Herausforderungen gibt es im politischen Leben zwischen Rio Grande und Feuerland genug und die nächsten Jahre versprechen für die Politische Kommunikationsberatung besonders spannend zu werden.

(Dieser Text ist eine stark gekürzte Fassung meines Beitrags „Politische Kommunikationsberatung in Lateinamerika“ aus dem „Handbuch Politikberatung, Hg.: Svenja Falk, Manuela Glaab, Andrea Römmele, Henrik Schober, Martin Thunert, VS Springer, Wiesbaden 2019.)