Für die einen ist es ein längst überfälliges und notwendiges Instrument, um die wilde Globalisierung zu zähmen. Für andere, nichts weiteres als eine Schikane und eine gefährliche Art, deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb freiwillig ins Abseits zu stoßen: das Lieferkettengesetz oder Sorgfaltspflichtengesetz. Die eigentliche Herausforderung, aber auch die Chance liegt woanders – egal ob mit oder ohne Gesetz.

Drei Bundesressorts (Arbeit, Entwicklung, Wirtschaft) arbeiten bereits länger an dem Gesetzesentwurf. Zwar ist es in Corona-Zeiten etwas stiller um diese Gesetzesinitiative geworden, die noch zu Jahresanfang 2020 politische Wellen schlug. Aber der Umstand, dass es im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, führt dazu, dass dieses Thema nicht von der Bildfläche verschwinden wird. Die Argumente Für und Wider sind weitgehend ausgetauscht. Im Großen und Ganzen kann man bereits jetzt davon ausgehen, dass ein künftiges Gesetz weder das Allheilmittel sein wird, um Menschenrechtsverstöße in globalen Lieferketten zu verhindern, noch dass es deutsche Unternehmen über die Maße in der globalen Wirtschaft benachteiligt.

Wozu dann überhaupt ein Gesetz?

Der Trend ist unumkehrbar

Tatsache ist, dass Institutionen wie die UN und die OECD seit längerem die Debatte zu den unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Kontext der sogenannten Agenda 2030 (Nachhaltigkeitsziele) verstärkt vorantreiben. Gleichzeitig ist unverkennbar, dass auch Verbraucher insbesondere in Industrieländer, ihre Kaufentscheidungen zunehmend danach ausrichten, wie und ob bei der Herstellung bestimmter Produkte und Dienstleistungen, Grundrechte respektiert werden. Selbst unter Investmentfirmen und weiteren Akteuren im Finanzsektor scheint das buzzword „Nachhaltigkeit“ kein Teufelswerk mehr zu sein. Im Gegenteil, impact investing ist auch ein gutes Geschäft!

Der Punkt ist: ob man als Unternehmer ein Lieferkettengesetz nun als Fluch oder Segen sieht, ist letztendlich unerheblich. Denn der gesellschaftliche und politische Druck auf Unternehmen, ihr weltweites Handeln transparenter zu machen, wird sich nicht aufhalten lassen – mit oder ohne Gesetz.

Operation gelungen – Patient tot: Anforderungen nicht nur juristisch verstehen

Das folgende (gar nicht so fiktive) Beispiel verbildlicht die Lage, vor welcher viele Unternehmen im internationalen Geschäft stehen: ein Unternehmen X „hat alles richtig gemacht“ – also, es ist das gesamte Due Dilligence-Verfahren zu seinen Lieferketten durchlaufen, hat eigene Mitarbeiter und Zulieferer geschult, sich an die gesetzlichen Erfordernisse gehalten – und steht dann plötzlich trotzdem am öffentlichen Pranger. Es wird von einzelnen Medien und NGO’s beschuldigt, Sklavenarbeit und Kinderausbeutung in den eigenen Lieferketten zu tolerieren. Die Vorwürfe verbreiten sich rasend schnell im Netz und respektieren weder Landes- noch Sprachengrenzen.

Der schlecht recherchierende Journalist und die über die Stränge schlagende NGO-Aktivistin wirken besonders in politisch aufgeheizten Zeiten wie Brandbeschleuniger. Der Schaden für das betroffene Unternehmen rührt dabei gar nicht so sehr von den auch im Lieferkettengesetz drohenden Sanktionen, die sich derzeit eher bescheiden ausmachen. Es ist der Reputationsschaden, von dem sich das betroffene Unternehmen bestenfalls erst über Jahre hinweg erholen wird – wenn überhaupt. Da nutzt es dann wenig, wenn im Nachhinein ein Gericht oder Experten feststellen, dass die gemachten Vorwürfe völlig haltlos waren. Die Logik dieses Beispiels lässt sich an beliebig weiteren Anforderungen an Unternehmen in der globalen Wirtschaft fortführen, egal ob zum Thema Compliance, Nachhaltigkeitsberichterstattung, etc.

Viel wichtiger: politische Sprechfähigkeit!

Berichte, Belege und Nachweise, nach denen ein Unternehmen seiner Sorgfaltspflicht entlang der Lieferketten nachgekommen ist, sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite stellt die Fähigkeit dar, die daraus gewonnenen Erkenntnisse zielgruppengerecht aufzubereiten, um sie im Dialog mit unterschiedlichsten Stakeholdern (auch bei kritischen Journalisten und skeptischen NGO’s!) gezielt einzusetzen. Politische Sprechfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, sich nicht verstecken zu müssen, sondern aktiv und mit fundierten Argumenten und Fakten gerüstet, auf Stakeholder zuzugehen und den Dialog zu suchen. Nur so gerät der schlecht recherchierende Journalist rechtzeitig ins Blickfeld oder kann die skeptische NGO ggf. sogar für eine punktuelle Zusammenarbeit gewonnen werden.

Natürlich haben viele Gegner des Gesetzesentwurfs Recht, wenn sie auf den zusätzlichen bürokratischen und administrativen Aufwand verweisen, der durch die vorgesehenen Prüfungen entsteht. Nur – die Prüfungen kommen früher oder später. Diese Bemühungen von Anfang an mit einem strategischen Stakeholder Management zu verbinden, kehrt den Aufwand in eine Investition um. Denn aus ihnen lässt sich genau der Rohstoff entnehmen, der für ein strategisch angelegtes Verhältnis mit dem eigenen Umfeld gebraucht wird – konkrete Daten, belastbare Fakten, anschauliche Inhalte und Narrative, die übrigens auch im Vertrieb und in der internen Kommunikation eingesetzt werden können (mit entsprechend positiven Auswirkungen auf das Geschäft).

Ein strategisch angelegtes Stakeholder Management entlang der Lieferketten bietet ein großes Potenzial, das Verhältnis mit dem eigenen Umfeld und die eigene Reputation aktiv zu gestalten, Risiken zu begegnen und Chancen zu nutzen: nach innen wie nach außen, über Länder, Kulturen und Sprachen hinweg.